Renata Alt

Westbalkan zwischen Hoffnung und Ernüchterung

In einem wichtigen Moment der Münchner Sicherheitskonferenz  wurde gefeiert, was ansonsten derzeit schwer möglich scheint: Konflikte können dank diplomatischer Bemühungen gelöst werden. Substanzielle Herausforderungen bleiben auf dem Westbalkan aber dennoch bestehen.

Der Westbalkan wird zunehmend wichtiger auf der außen- und sicherheitspolitischen Agenda. Zwei Panels des Hauptprogramms der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz waren den griechisch-mazedonischen und den serbisch-kosovarischen Beziehungen gewidmet. Bereits in seiner Begrüßungsrede hob Wolfgang Ischinger die beiden Premierminister Griechenlands, Alexis Tsipras, und Nordmazedoniens, Zoran Zaev, als Beispiele erfolgreicher Diplomatie hervor. Später wurden Beide mit dem Ewald-von-Kleist-Preis für die Befriedung eines Jahrzehnte dauernden Konflikts ausgezeichnet.

Nach einem jahrzehntelangen Verhandlungsprozess schlossen die beiden Regierungschefs im Juni 2018 einen bilateralen Vertrag (Prespa-Abkommen) ab, nach dem Mazedonien künftig Nordmazedonien heißen wird. Athen hatte zuvor den Begriff Mazedonien im offiziellen Staatsnamen des Nachbarlandes strikt abgelehnt. Beide Länder erheben den Anspruch, in der historischen Nachfolge des antiken Makedonien zu stehen. Griechenland beansprucht den Namen ebenso für seine nordgriechische Provinz und unterstellte Mazedonien, implizit Gebietsansprüche auf griechisches Staatsgebiet zu erheben. Seit 2005 blockierte Griechenland daher auch die Aufnahme Mazedoniens in die NATO und die EU.

Der Konflikt um Nordmazedonien ist historisch kulturell stark aufgeladen und hat bis zuletzt zu schweren innenpolitischen Unruhen geführt. Es gab massive, teils gewaltsame Proteste der mazedonischen und griechischen Bevölkerung, welche die Entscheidung ihrer jeweiligen Premiers ablehnte. Umso mehr ist die Kompromissbereitschaft beider Seiten, mit dem politischen Ziel, Mazedonien stärker an den Westen anzubinden, zu würdigen. Auch für die EU ist die Einigung ein Erfolg, war sie doch aktiv an dem Verhandlungsprozess beteiligt. Die Einigung ist ein wichtiger Beitrag zu friedlichen Beziehungen beider Staaten. Sie ist darüber hinaus eine primäre Voraussetzung für einen nahenden Beitritt Nordmazedoniens in die NATO und für eine Annäherung an die EU.

Allerdings darf der Beitrittsprozess für Mazedonien mit Blick auf eine mögliche Eröffnung von EU-Beitrittsverhandlungen beim Europäischen Rat am 20./21. Juni 2019 kein Automatismus sein. Der gelöste Namensstreit ist ein bemerkenswerter Erfolg, aber er ist nicht die einzige Hürde. Die vollständige Erfüllung der Kopenhagener Kriterien sowie die erfolgreiche Fortsetzung eines entschlossenen innenpolitischen Reformkurses hin zu EU-Standards bleiben die Bedingung für einen Weg in die EU. Aus liberaler Sicht sind die Justiz, die öffentliche Verwaltung, Korruptionsbekämpfung, wirtschaftliche Unabhängigkeit, Medienfreiheit und Bildung die wesentlichen Bereiche, in denen sich Mazedonien anstrengen muss.

Spannungen zwischen Serbien und Kosovo

Auf die griechisch-mazedonische Erfolgsstory der Münchner Sicherheitskonferenz folgte die Ernüchterung. In einer Diskussion zum Thema Sicherheit in Südosteuropa bewiesen die Präsidenten Serbiens und des Kosovo, Aleksandar Vučić und Hashim Thaçi, dass eine Einigung zwischen ihnen in weiter Ferne liegt.

Präsident Vučić wies eingangs auf das unter Vermittlung der EU geschlossene „Brüsseler Abkommen“ von 2013 hin, worin sich Serbien und Kosovo zu einer Normalisierung ihrer Beziehungen verpflichteten. Serbien habe alle Vorgaben des Abkommens erfüllt, Kosovo hingegen keine, so Vučić. Serbien habe  toleriert, dass im serbisch geprägten Norden Kosovos Kommunalwahlen nach kosovarischem Recht abgehalten wurden. Auch eine internationale Telefonvorwahl habe Serbien dem von ihm nicht offiziell als Staat anerkannten Kosovo derweil zugestanden. Die 2013 vereinbarte Gründung eines Gemeindeverbands der Kosovo-Serben stehe seitens Kosovos hingegen bis heute aus. Präsident Thaci entgegnete, dass Serbien eine Mitgliedschaft Kosovos in internationalen Organisationen wie der UNESCO und INTERPOL aktiv verhindert habe. Er rechtfertigte die infolge dieser serbischen Blockadepolitik verhängten 100-prozentigen Einfuhrzölle gegen Waren aus Serbien. Präsident Vučić verwies wiederum auf die damit verbundenen enormen wirtschaftlichen Verluste seines Landes und drohte Kosovo mit Gegenmaßnahmen.

In konfrontativer Atmosphäre steigerten sich die gegenseitigen Vorwürfe. Auffällig war allerdings, dass keiner der beiden Präsidenten die im vergangenen Jahr entstandene und einzig von den USA unterstützte Idee, den serbisch-kosovarischen Konflikt durch einen Territorialtausch zu lösen, erwähnte. Einig schienen sich alle Beteiligten schließlich darin, dass eine Lösung des Konflikts aufgrund der Priorität nationaler Interessenbehauptungen in absehbarer Zeit nicht realistisch sei, man aber dennoch im Gespräch bleiben müsse.

Europa in der Verantwortung

Ein umfassendes, rechtlich bindendes Normalisierungsabkommen ist von zentraler Bedeutung  für Serbien und Kosovo. Nur so können beide Länder Sicherheit und Stabilität in der Region erreichen und näher an die EU rücken. Solange sich beide Länder gegenseitig blockieren, blockieren sie eine ganze Region. Wenngleich die Chancen derzeit schlecht stehen, ist es wichtig weiterhin an einem Kompromiss zu arbeiten – unter Einbeziehung der EU.

Frieden, Stabilisierung und Zusammenarbeit mit den Westbalkan-Staaten liegen auch im ureigenen Interesse der EU. Wir können es uns nicht leisten die Region Westbalkan zu vernachlässigen, die zu einem Austragungsort geopolitischer Interessen geworden ist. Die Uneinigkeit der Europäer in Bezug auf den Umgang mit der Region und das daraus resultierende Vakuum wird von anderen Staaten strategisch genutzt. China, Russland und arabische Staaten üben bereits einen erheblichen Einfluss in der Region aus.

Trotz vieler ernüchternder Unstimmigkeiten zwischen Serbien und Kosovo haben die Premierminister Nordmazedoniens und Griechenlands in München gezeigt, was mit diplomatischen Bemühungen zu erreichen ist: Die Interessen des Nachbarn zu akzeptieren und gemeinsam einen politischen Kompromiss zu finden. Unilateralismus, statt kooperativem Multilateralismus, wird nationale Interessen einzelner Staaten, geschweige denn die Stabilität einer ganzen Region, langfristig nicht schützen. Nordmazedonien wurde gelöst, weil kulturelle Realitäten anerkannt und politische Kompromisse eingegangen wurden  – eine Grundlage transnationaler Zusammenarbeit, welche für die ganze Region von Vorbild sein sollte.

Der Gastbeitrag erschien am 21. Februar 2019 auf freiheit.org. 

Er spiegelt die persönliche Meinung der Verfasserin wider. Renata Alt ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, Berichterstatterin der FDP-Bundestagsfraktion für Mittel-, Ost- und Südosteuropa sowie Vorsitzende der Parlamentariergruppe Deutschland-Tschechien-Slowakei-Ungarn.