Die Frau, die die Kluft zwischen Ost und West verkleinern könnte
Dieser Gastbeitrag erschien am 14.6.2019 als Meinungsausdruck in der Welt.
„Schwarzes Loch Europas“, so nannte die gebürtige Tschechoslowakin und damalige US-Außenministerin Madeleine Albright die Slowakei unter ihrer autokratisch-nationalistischen Regierung im Jahr 1997. Doch die Slowakei bekannte sich in ihrer Geschichte immer wieder klar zum Westen: Dieses Jahr erinnern wir zum 30. Mal an die Freiheitsbewegungen in Mitteleuropa, die im Jahr 1989 den Fall der Berliner Mauer beschleunigten. Aus den Parlamentswahlen 1998 gingen die slowakischen Parteien mit starkem euroatlantischen Kurs als Siegerinnen hervor. Seit 1999 ist die Slowakei Mitglied der NATO, seit 2004 Mitglied der EU, 2009 führte sie als einziges mitteleuropäisches Land den Euro ein – eine Erfolgsgeschichte der europäischen Integration.
Mit der Wahl der liberalen proeuropäischen Zuzana Čaputová zur Staatspräsidentin beweisen die Slowaken erneut ihre westliche Haltung. Die erste weibliche Staatspräsidentin in den Visegrád-Staaten verkörpert die Hoffnung der Bevölkerung auf die Umsetzung politischer und gesellschaftlicher Reformen nach einem rasanten wirtschaftlichen Aufschwung. Ohne populistische Parolen griff Čaputová in ihrem Wahlkampf die innenpolitischen Herausforderungen auf: der Mord an dem Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak und seiner Vorlobten, endemische Korruption bis auf die höchsten politischen Regierungsebenen, und gesellschaftlich konservative Strukturen. Die Anwältin Čaputová steht für die Vision eines funktionierenden Staates und einer „anständigen Politikführung“.
Mit ihr gewinnt die Visegrád-Gruppe - Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei - eine überzeugte Anhängerin der europäischen Integration an der Spitze. In der Slowakei und Tschechien siegten bei der Europawahl die pro-europäischen und liberalen Parteien, darunter die „Progressive Slowakei“. Čaputová hat die Partei mitgegründet - vor gerade einmal zwei Jahren. In Ungarn und Polen setzten sich hingegen die populistischen Regierungsparteien durch. Die Wahlbeteiligung lag in den Visegrád-Staaten zwar unter dem EU-Durchschnitt, dennoch verzeichneten alle vier die höchste Wahlbeteiligung seit ihren EU-Beitritten.
Die neue slowakische Präsidentin hat das Potenzial, liberale pro-europäische Werte in die ganze Region zu tragen. Schon jetzt steht sie im Fokus der Aufmerksamkeit. Das bestätigt die ausführliche mediale Berichterstattung über ihren Wahlsieg in der ganzen Welt sowie die Wahl zur europäischen Persönlichkeit des Jahres (euronews). Hoffnungsträgerin mit politischer Eloquenz: Wir brauchen Persönlichkeiten wie Čaputová, die wagemutig und mit inhaltlich überzeugenden Argumenten gegen populistische Meinungsmache kämpfen.
Deutschland genießt ein hohes Ansehen in der Slowakei und pflegt enge politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Beziehungen zu allen Staaten Mittelosteuropas. Die Verflechtung mit unseren östlichen Nachbarn ist von strategischer Bedeutung, um die EU in stürmischen Zeiten zusammenzuhalten. Deutschland kann mithilfe einer vertieften und strukturierten Kooperation mit den Visegrád-Ländern die wichtige Rolle des Vermittlers zwischen West und Ost einnehmen.
Die Wahl Čaputovás zur Staatspräsidentin bietet dafür die beste Gelegenheit: Deutschland sollte die politisch noch unerfahrene, aber ambitionierte Slowakin mit Kräften unterstützen. Als Verfechterin liberaler Werte können mit ihr auch schwierige Themen wie die Gefährdung des Rechtsstaates, der Meinungs- und der Pressefreiheit angesprochen werden.
In einem geeinten Europa gibt es keine schwarzen Löcher. Aber wir brauchen einen Dialog auf Augenhöhe mit allen Ländern, um die freiheitliche pro-europäische Bindung Mitteleuropas zu wahren. Es ist höchste Zeit.